Erweitere das Narrativ
Protokoll der moralischen Paradoxien
Im Protokoll der moralischen Paradoxien vermerke ich nüchtern die Störung, zu deren Behebung ich entsandt wurde. Statt das Standardprotokoll anzuwenden, improvisiere ich eine ungewöhnliche Intervention, die auf Intuition und erfinderischen Umwegen basiert. Die unmittelbare Folge ist paradox: die Anomalie legt sich, doch die Zeugen beginnen, Erinnerungen zu konstruieren, die vorher nie existierten und nun als echte Trauer empfunden werden. Ich spüre sofort, dass meine kreative Abweichung das ethische Gefüge verschoben hat und neue Schuldfragen wie Risse durch die Gemeinschaft ziehen.
Ich glätte die Fluktuationen, indem ich die Chronologie behutsam verzahne und unscheinbare Erinnerungsbrücken einfüge, die den Schmerz in plausible Herkunftsmythen lenken. In den Akten überarbeite ich Notizen, fülle Lücken mit vertrauten Details und lasse scheinbar zufällige Bilder genau dort auftauchen, wo Lücken entstanden waren. Die Menschen atmen erleichtert, ihre Trauer nimmt berechenbare Formen an, doch mit jedem korrigierten Rückruf wächst eine feine Risslinie in meinem Gewissen, die ich durch penible Protokollanpassungen zu übertünchen suche. Als ein Kollege mißtrauisch nachhakt, serviere ich ihm eine so selbstverständlich konstruierte Alternative, dass er sie annimmt, während die Lüge beim Aussprechen an mir klebt.
Ich beginne, das Narrativ systematisch auszuweiten, verpflanze nebensächliche Details zu Legenden, setze Namen auf vermeintliche Opfer und erfinde Orte, an denen sich die Schicksale kreuzen. Die Dorfbewohner nehmen die neuen Stränge gierig auf, weben sie in Reden bei Totenwachen und in Kinderreimen, und bald tragen sie die Konstrukte so selbstverständlich vor, als wären sie immer dagewesen. Meine Rolle verändert sich: aus dem stillen Korrektor wird ein heimlicher Geschichtenerzähler, dessen Einfälle Gemeinschaftsidentität formen, während ich zugleich ein wachsendes Gewicht von Verantwortung und Scham mit mir herumtrage. Als direkte Folge wird der misstrauische Kollege beruhigt, weil die erweiterten Erinnerungen seine Fragen in harmlose Anekdoten verwandeln, doch ich weiß, dass jede zusätzliche Faser der Erzählung mich tiefer verstrickt.
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